Rainer Grimm

AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG RAINER JANSSEN AM 25.02.2007 IM KUNSTRAUM BENTHE

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich freue mich sehr, dass ich die Ausstellung von Rainer Janssen hier im Kunstraum Benther Berg eröffnen darf. Ich bin ja schon häufiger hier gewesen, und es ist für mich immer wieder eine Freude, mit den hier tätigen Künstlern zusammen zu kommen.

Die Ausstellung hat der Künstler „Meine Landschaften“ genannt – und schon, wenn man sich die Abbildung auf der Einladungskarte anschaut, dann sieht man, dass es sich hier nicht um ‚Landschaften‘ an sich handelt, sondern dass der Rainer Janssen ganz individuelle Zugänge gefunden hat, die ’seine‘ Landschaften von denen, wie wir sie draußen in der ‚Natur‘ finden oder wie sie andere Künstler machen, unterscheiden.

Bevor ich auf seine Arbeiten etwas genauer eingehe, möchte ich Ihnen einige Daten zu seinem künstlerischen Werdegang nennen. Rainer Janssen hat an sich Grafikdesign studiert, viel mehr hat ihn aber nach eigenen Aussage ein Praktikum bei dem Fotografen Heinrich Heidersberger in Wolfsburg geprägt – das war an sich nur für relativ kurze Zeit geplant, es ergab sich dann aber so, dass er doch für ein ganzes Jahr bei ihm blieb und arbeitete.

Als Rainer Janssen mir bei der Vorbesprechung davon erzählte, ging er selbstverständlich davon aus, dass mir der Name Heinrich Heidersberger ein Begriff war – aber ich muss gestehen, dass ich ihn bis zum letzten Donnerstag nicht kannte. Mittlerweile habe ich ein wenig im Internet geforscht – wenn Sie seinen Namen eingeben – dann erhalten Sie bei Google allein mehr als 26.000 Einträge und 234 Bilder.

Heidersberger war einer der ganz großen Fotografen des zwanzigsten Jahrhunderts, und bei solch einem Fotografen das Handwerk gelernt zu haben, das ist schon etwas besonderes. Ich habe das etwas ausführlicher erwähnt, weil Rainer Janssen die Fotografie auch heute noch nutzt – zwar ganz anders als er es bei Heidersberger und später an der Fachhochschule bei Heinrich Riebesehl hier in Hannover gelernt hat, die Herkunft von einer solch präzisen Art zu fotografieren lässt sich aber nicht verleugnen.

Nun hat der Künstler aber noch eine ganz andere Seite – und das ist die Malerei. Rainer Janssen ist ein Maler, für den die Farbmaterie, die Art des Farbauftrags, des ‚Malen an sich‘ eine ganz wichtige Rolle spielt. Das Gegenteil von einem solchen Maler ist etwa ein Zeichner – Zeichner sind Menschen, die von der Linie, vom Umriss, vom Hell-Dunkel ausgehen – für Janssen dagegen steht der Farbfleck, der Farbklang, das farbige Gefüge im Vordergrund. Wir sehen hier also Arbeiten, die auf den ersten Blick scheinbar Unmögliches miteinander verbinden – auf der einen Seite die Fotografie mit ihrem Anspruch an Exaktheit und ‚Wirklichkeitstreue‘ und auf der anderen Seite die autonome Malerei, die den Mal-Akt, das freie Umgehen mit Farbmaterie und von einer möglichen ‚Wirklichkeit‘ unabhängige Farbklänge in den Vordergrund stellt.

Folgerichtig gibt es in dieser Ausstellung auch beide Seiten zu sehen – es gibt einerseits eine Malerei, die eher autonom als an einem möglichen Gegenstand orientiert ist, und es gibt Fotos, die bearbeitet und verfremdet worden sind und sich so – gewissermaßen nachträglich – vom Gegenstand entfernen. Ich werde das nun an drei Beispielen darstellen:

Zunächst wende ich mich dabei den reinen Malereien zu. Die Bildergruppe hier besteht aus sechs einzelnen Leinwandbildern, die vom Künstler zu einer größeren Einheit zusammengestellt worden sind. Alle Bilder enthalten Elemente von Landschaften, von Landschaften, die Rainer Janssen bei Radfahrten gesehen und fotografiert hat.

Die Fotografie dient und diente dem Künstler so seit langem schon als eine Art Skizzenbuch – auf diese Art und Weise kann und konnte er Ansichten festhalten, die er später in seinem Atelier als Anregungen für seine malerischen Ausflüge benutzt. Wie geht er nun dabei vor? Zunächst muss man wissen, dass er als Material für seine Bilder farbige Pigmente und Leinöl benutzt. Man muss sich den Malvorgang dann im allgemeinen so vorstellen, dass der Künstler zunächst die trockenen Pigmente auf seiner Palette verteilt, dann geht er mit dem Pinsel in das Leinöl, nimmt die Pigmente auf und trägt diese Farbmaterie direkt auf die Leinwand. Die Farbe wird so teilweise direkt erst auf der Leinwand gemischt, dadurch behält sie viel von ihrem Charakter. Damit ist das Bild aber noch nicht vollendet – um die beabsichtigte Wirkung zu erzielen, nimmt Rainer Janssen an einigen Stellen wieder Farbe weg. Manchmal bezieht er auch den Zufall mit ein, wenn er beispielsweise die Leinwand senkrecht stellt und die relativ flüssig aufgetragene Farbe herunter laufen lässt.

Man sieht schon an dieser Arbeitsweise, dass Farbe bei Rainer Janssen nicht nur dazu da ist, um beispielsweise eine ganz bestimmte Landschaft abzubilden, sondern dass sie immer ihre Eigenart und damit einen ganz eigenen Wert behält. Schaut man sich nun einzelne Bilder an, dann kann man zwar immer noch eine entfernte Verwandtschaft mit landschaftlichen Vorlagen feststellen, es überwiegen aber die rein malerischen Bezüge. Bei diesem Bild gibt es beispielsweise eine Farbspannung zwischen den Rosatönen des Hintergrunds und dem kalten Blau. Das Rosa wird auf der linken Bildseite fleckartig ins Rostrote gesteigert und das helle Blau verdichtet sich ebenfalls. Und dann gibt es diese kleine Stelle im unteren Drittel – wie ein Ausblick in einen Himmel aber auch wie ein ganz im Vordergrund liegender kleiner Fleck zieht er die Aufmerksamkeit auf sich und verbindet die unterschiedlichen Ebenen miteinander.

 

Das zweite Bild, das ich mit mit Ihnen anschauen möchte, ist deutlicher nach einem Foto gearbeitet. Man schaut in eine parkartige Landschaft, im Vordergrund gibt es eine überwiegend in gelbgrünen Farben gemalte Fläche, dahinter folgt eine in einem hellen kalten Blau. Darauf stehen in der Bildmitte drei einzelne Büsche, links und rechts werden sie von kleinen ins Bild hineinragenden Wäldchen flankiert. Über allem liegt ein fast weißer Himmel. Im Unterschied zur ersten Bildgruppe scheint es bei diesem Bild ein klare räumliche Erstreckung zu geben – ein Vordergrund vielleicht mit einer Art Feld, im Mittelgrund die Büsche und die hereinragenden Bäume und im Hintergrund schließlich leicht verschwommen ein Wald. Schaut man sich nun das Bild aber etwas genauer an, dann fallen doch Unstimmigkeiten auf. Wie ist das mit den großen auf der rechten Bildseite von oben herinragenden Teilen? Das müssen Aste sein, die sich ganz im Vordergrund befinden.

An sich setzt man solch ein sogenanntes Repoussoir in Fotos oder Bildern gern ein, um die Tiefenwirkung zu steigern. Hier aber erreicht Rainer Janssen genau das Entgegengesetzte. Durch die Art der Darstellung fließen die Äste mit der Baumgruppe im Mittelgrund praktisch zusammen, dadurch wird die an sich völlig klare räumliche Wirkung teilweise wieder aufgehoben. Auch das Gelb bleibt gleich, obwohl es sich ja noch oben hin verändern müsste. Gesteigert wird diese irrationale Wirkung noch dadurch, dass die Ränder des Repoussoirs ganz unscharf gemalt sind, man sieht deutlich die Pinselspuren. Unterstützt wird das alles noch dadurch, dass Licht und Farben völlig künstlich gewählt wurden. Auf dieses Bild und auch auf die anderen Bilder in dieser Ausstellung bezogen, bedeutet das, dass wir es hier eigentlich wie bei der ersten Bildgruppe mit autonomen Bildern zu tun haben. Mit Bildern also, die von der Bildwirkung her gedacht sind. Dass wir in diesem Bild dennoch Felder, Bäume, eben eine ‚Landschaft‘ sehen – das ist eigentlich etwas, was wir als Betrachter hinzutun. Der Künstler lässt uns die Landschaft schauen und stellt diese Betrachtungsweise gleichzeitig wieder in Frage. – dadurch lässt er das Bild lebendig wirken, er schafft eine Spannung in dem Bild, die weit über das hinaus geht, was eine normal Landschaftsabbildung – sei es ein gutes Foto oder auch eine klassische Malerei bieten können.

Als drittes gehe ich nun noch auf die Digitaldrucke ein. Rainer Janssen hat mir im Vorgespräch erzählt, dass er irgendwann die Idee hatte, die Fotos, die ja ursprünglich nur einen dienenden Charakter beim Malen hatten, als eigenes Medium nutzen wollte. Ein gutes Beispiel ist für mich das Bild ‚Rügen‘. Interessant ist dabei schon die Wahl des Titels – bei den Malereien nimmt er grundsätzlich keine inhaltlichen Titel – bei den Digitaldrucken gibt er aber jeweils den Ort an, wo das ursprüngliche Foto entstanden ist – so heißt dieses Bild ‚Zwischen Wunstorf und Kohlenfeld‘, jenes ‚Zwischen Linderte und Ihme‘ und dieses eben ‚Rügen‘. Durch die Titelwahl erreicht er beim Betrachter etwas ganz Erstaunliches – zumindest war das bei mir der Fall – da ein Foto ja einen gewissen dokumentarischen Wert hat, vergleicht man es automatisch mit den Erinnerungen, die ein solcher Titel in einem hervorruft. Der Ausgangspunkt des Bildes ‚Rügen‘ waren mehrere Fotos, die der Künstler mit einer Rollfilmkamera im Filmformat von g X 13 gemacht hatte – dabei hatte er den Film jeweils nur ein wenig weitergedreht, immer wieder ausgelöst, sodass eine Mehrfachbelichtung entstand.

Auf dem Bild sieht man auf der rechten Seite und unten eher geometrische Formen in schwarz, nach oben fransen sie auf der linken Seite in blatt- oder kräuterartige Formen aus. Auf der rechten Seite scheint es nach oben in eine Art Baum weiterzugehen, dort sind die Formen auch schon leicht von einem Grün überlagert. Alles steht vor einer Art Himmel in rosa und grün. Soweit eine erste Beschreibung f- dann sieht man aber auch noch violette Sprenkel und unten einen weißen Fleck auf dem Bild. Die Sprenkel und der Fleck scheinen vor dem eigentlichen Bild zu stehen. Entstanden ist das Bild einerseits durch die schon erwähnten Mehrfachbelichtungen. Dann hat er Farbspritzer auf das entwickelte Foto gegeben, er hat das Foto mit Sprenkeln eingescannt und dann im Computer bearbeitet.

Ähnlich geht er bei allen Fotos vor, die wir hier in dieser Ausstellung sehen. Fast immer bestimmt er den Ausschnitt neu, in jedem Fall aber verändert er die Farben so lange, bis die von ihm für das jeweilige Bild gewünschte Spannung erreicht ist. Auf dieses Bild bezogen, erkennt man auf den ersten Blick, dass er natürlich die Farben verändert haben muss. Allein ein Blick in den Himmel zeigt, dass diese Kombination aus hellem Rosa und dem intensiven Grün in ‚Wirklichkeit‘ nicht möglich sein kann. Aber auch die exakte geometrische Form auf der rechten Seite, aus der der leicht grünen Baum herauszuwachsen scheint – das ist sicher Bearbeitung.

Mit diesen Veränderungen gelingt es Rainer Janssen, die Fotografie mit einer Bedeutung aufzuladen, die sie sonst nicht hat. Seine malerischen Manipulationen – sei es ganz klassisch mit farbigen Pigmenten und Leinöl, sei es mit einem Farbbearbeitungsprogramm am Computer – führen dazu, dass die Bilder weit über eine normale Abbildung hinausgehen. Das sit das, was sie so reizvoll erscheinen lässt – und das ist das, was Kunst überhaupt ausmacht. Klee hat gesagt:“Kunst bildet nicht ab, sie macht sichtbar“ – und hier können wir erleben, wie Rainer Janssen seine Landschaften sichtbar gemacht hat.