Ludwig Zerull

Rede  zur Ausstellung „ Calenberger Landschaften“

Meine Damen und Herren,

bei den Calenberger Landschaften, den Landschaftsbildern, die Rainer Janssen immer wieder h e r s t e l l t – die er immer wieder malt, handelt es sich um Bilder, die möglicherweise vielen gefallen, weil sie so schön sind. Diese Bilder sind aber mit großem Bedacht hergestellt.

Sie merken, ich will darauf hinaus, dass sie einerseits nicht einfach so entstanden sind, weil einer sich etwa in die Natur setzte und einfach so malte … – dass sie viel mehr hergestellt sind, mit großem Bedacht und großer Selbstkritik zu etwas Exemplarischen gemacht wurden, weil Rainer Janssen sehr kalkuliert malt – kurz gesagt, sie sind einerseits angesichts der großen Tradition, die es wie Sie wissen, gibt, mit großer Überlegung bezüglich der Effekte seiner Landschaftsbilder hergestellt und andererseits im Ergebnis, wie wir es sehen, sind sie von großer Harmonie, Poesie, lyrischer Aussage. Sie sind kalkuliert und spontan, sie sind schön und anrührend.

Deshalb, meine Damen und Herren, habe ich mir überlegt, das Entstehen dieser Bilder von Rainer Janssen, so wie ich es verstehe, in einzelnen Beobachtungen Ihnen vorzutragen und vorzustellen; und diese einzelnen Beobachtungen jeweils mit einem Landschaftsgedicht eines Dichters zu unterbrechen, das Ihnen zeigen kann, Sie spüren lassen kann, wie ein Dichter Landschaftslyrik schreibt, die von ihm, dem Betrachter dieser Landschaft, gleichzeitig analysiert wird.

Der Dichter war Hannoveraner. Er heißt Karl Krolow, ist 1915 dort geboren worden, hat lange in Hannovers Südstadt, dann auf der Mathildenhöhe in Davenstedt gelebt und ist kurz vor Ende des letzten Jahrhunderts gestorben. Seine Lyrik ist von vollendeter Leichtigkeit, Schwerelosigkeit der Form, von Musikalität der Sprache, teils transparenter, teils konstruierter Bildlichkeit (So beschrieb ihn das dtv-Lexikon der Weltliteratur schon zu Lebzeiten.) Und diese Ambivalenz der Beschreibung, meine Damen und Herren, ist eben auch das, was Rainer Janssen mit seiner Landschaftsmalerei kann.

Das erste Gedicht von Karl Krolow, das ich hier dazwischen schiebe heißt: „Malen im November“.

Bald nachdem ich neulich zur Besichtigung der Bilder dieser Ausstellung in Rainer Janssens Atelier in Badenstedt eingetroffen war, zeigte er mir ein opulentes Fotobuch, das zu meiner Überraschung lauter in 4 X 4 hergestellten, aber im Buch vergrößerten farbigen Fotos des Dichters Arno Schmidt enthielt. Der bekannte Hamburger Professor und Millionär Jan Philipp Reemtsma hat dieses Buch ermöglicht. Arno Schmidt, den wir als komplizierten experimentellen Sprachkünstler (“ Kühe in Halbtrauer“) kannten, hatte in den 50er Jahren mit seiner Kamera rund um sein bekanntes Häuschen in Bargfeld in der Heide fotografiert. Keine raffinierten Fotos, nur die Landschaft, das Haus, die Blumen, den Garten, die Ställe und Scheunen drum rum. Einfach, schön, alltäglich.

Auch Rainer Janssen begibt sich mit dem Fahrrad von seinem Atelier aus in die Umgebung, in die Landschaft hier, das Calenberger Land. Dabei bewegt er sich und fotografiert, dezidiert nicht kunstvoll, sondern als Notizen für künftige Malerei. Rainer Janssen hatte nach dem Abitur in Bremen ganz bewusst ein Volontariat in Wolfsburg bei dem damals berühmten, erst vor wenigen Jahren im Alter von 101 gestorbenen Fotografen Heinrich Heidersberger gemacht. Janssen war beeindruckt, fasziniert von der selektiven Arbeitsweise dieses Fotografen, ob er nun mit dem Stativ den genauen Ausschnitt fand, ob er den Fotografien freien Lauf ließ und im Labor das Material bearbeitete. Das Foto ist nicht das Ergebnis. Das Ergebnis erbringt die Arbeit, die Herstellung, wie ich schon anfangs sagte, die dem Foto folgt.

Rainer Janssen, der nach dieser „Lehre“ bei Heidersberger in Wolfsburg an der Fachhochschule für Kunst und Design in Hannover studierte, hat für sich – und zwar für seine Malerei – diese Lehren aus der Arbeit bei einem Fotografen mitgenommen. Rainer Janssen malt heute, – nicht nach, aber mithilfe seiner Landschaftsfotos oft große Landschaftsbilder. Diese bekommen wir aber meist nicht zu sehen. Denn auf diesen Leinwänden legt Janssen mit meist quadratischen Passepartouts, sozusagen sich bewegend, die gemalte Landschaft genau absuchend, Ausschnitte fest. Ausschnitte im wahren Sinn des Wortes, weil er dann kleine Landschaftsteile aus großen Leinwänden ausschneidet und diese oft zu Bildserien kombiniert. So verdichtet Janssen – ebenso im Wortsinne – die mit dem Fotoeindruck der Calenberger Landschaft gemalten, mit Leinöl und Pigmenten gemalten Bilder zur Quintessenz einer Landschaft, auf die Flüchtigkeit kommt es ihm dabei besonders an wie auf die Bewegung, auf das Exemplarische ebenso wie auf das Allgemeine. Schönheit nicht zu vergessen.

In der Kunstgeschichte hat es die Landschaftsmalerei schon vor Jahrhunderten vermocht, dem Künstler die Freiheit zur Abstraktion zu eröffnen, auch schon zu Zeiten, als von Abstraktion noch lange keine Rede sein konnte. Die ersten reinen Landschaftsmaler, Schongauer, Altdorfer oder Dürer befreiten sich damit von dem Zwang der kirchlichen Fesseln. In der holländischen Malerei gab es z. B. später das sogenannte Drei-Gründe-Bild, wo, vereinfacht gesagt, mit drei hintereinander gelegten Lasuren die Weite, die Tiefe, die nicht endende Ferne – Udo Lindenberg: Hinterm Horizont geht ’s weiter – festgelegt wurde. Um ganz in der Nähe zu bleiben: die Landschaftsbilder von Wilhelm Busch – geniale Bilder, aber in seiner Zeit verlacht – flüchtige Landschaftseindrücke, die dann immer durch den roten Wams einer kleinen Figur im Bild festgelegt werden – so wie Janssen mit dem Passepartout schließlich das Ideal des Ausschnitts festlegt.

 

Oder, ganz anderes Beispiel, der abstrakte Maler WOLS im Paris der Nachkriegszeit mit seinen immer kleiner werdenden Bildsuiten als Quintessenz des Großen im Kleinen, des Makro- im Mikro-Kosmos. Rainer Janssen sichert sich mit oft dünn mit Öl getupften Organisationen die pflanzlichen Strukturen der realen Landschaft. Er tut das auch, um uns Betrachtern Raum für eigene Assoziationen und Interpretationen zu schaffen.

Immer wieder hat es in der Kunstgeschichte den Versuch gegeben, sich Landschaft so anzueignen, wie wir „moderne Menschen“ sie erleben: verschliert oder zusammengezurrt, zusammengezurrt durch unsere schnelle Bewegung im Auto, im Zug, aus dem Flugzeug. Die ersten, die dies versuchten, waren sicher die italienischen Futuristen. Aber vor allem in den letzten 40 Jahren gab es derlei Versuche viel: Hundertwasser mit im Auto, aus dem Auto heraus gemalten Bildern, der Popartist d’Arkangelo mit endlos in die Ferne führenden Straßen, der DDR Maler Matheuer übrigens auch mit seinem Bild „Die Freiheit führt das Volk“. Damit ist immer Sehnsucht, Freiheitsdrang verbunden gewesen. Der Maler Bernd Schwering fällt mir dazu noch ein. Rainer Janssen verbindet mit seinen Landschaftsbildern auch solche Bewegungserfahrungen, Sehnsucht und Freiheit inbegriffen. Er hat mir größere Bilder gezeigt, auf denen verschwommene Begrenzungspfähle im Vordergrund den Maßstab für die Bewegung abgeben, die vor unseren Augen die Landschaft macht.